9. November 2007

soziales Engagement?

03.11.07, Mihaelas Wohnung

Ich lasse jetzt ein paar Tage aus und schreibe gleich bei Samstag (3. nov) weiter. Es ist nichts großartig Neues passiert und ich will euch ja nicht langweilen :)
Samstag stand wieder das ACTOR-Treffen an, wo ich viele organisatorische Dinge mit Eugenia und Stefanizo zu besprechen hatte und auch ne große Tüte mit neuen Materialien (Papiere in allen Farben und Formen, Servietten, Süßigkeiten, Seifenblasenwasser) für meine Projekte bekam. Außerdem war heute ein besonderer Feiertag an dem man der Verstorbenen gedenkt, indem man einen speziellen Nuss-Wein-Kuchen backt und diesen zusammen mit einem Ei, einer Tomate, einer Gurke, belegten Broten, Wein und einem Stück Holz jemandem überreicht. Dieser jemand muss dann ein bestimmtes Wort sagen (das ich schon wieder vergessen habe) und wenn er die Dinge isst, isst er sie quasi als Mittelsmann für die Verstorbenen, da diese das ja nicht selbst können, da sie nur noch als Seelen in der realen Welt existieren. Das war mein heutiger Exkurs in die rumänische Kultur :)

Zusammen mit den anderen bastelten wir dann aus großen braunen Kartontüten Kleidung, die einige aus der ACTOR-Gruppe bald zu einem speziellen Anlass tragen würden. Da hab ich mich aber nicht lange dran beteiligt und machte mich voll beladen auf den Weg zu einer Eurolines-Filiale in der Nähe, da ich mich nach den Preisen für meinen Ausflug nach Deutschland im Winter erkundigen wollte.

Auf dem Rückweg zur Ubahn-Station hatte ich dann mein zweites Erlebnis der rumänischen Kultur. Diesmal allerdings weniger erfreulich. Ganz im Gegenteil.Auf meinem Weg sah ich am Rand des Fußgängerwegs eine Frau liegen, die da auf dem Hinweg noch nicht gewesen war. Diese Frau (um die 40 schätz ich mal), wand sich scheinbar in Krämpfen auf dem matschigen Boden und jammerte vor Schmerzen. Aber alle Leute starrten sie nur an und gingen einfach weiter. Der Weg war sehr belebt und ich hab das schon von weitem sehen können. Ich hab nicht lange überlegt und obwohl ich ja eigentlich noch sogut wie kein rumänisch kann, hab ich die Frau angesprochen, ob ich ihr helfen kann. Sie sah mich gar nicht an, sondern schluchzte und weinte, sodass ihre ganze Schminke schon verwischt war und hielt sich den Bauch und den Kopf. Ich war etwas hilflos und sprach den nächsten vorbeikommenden Passanten an, ob er mir die nummer der Ambulanz geben könnte oder sie selbst anrufen könnte. Das hatte allerdings nicht viel Erfolg und alle Leute, die ich ansprach gingen einfach weiter. Ein paar Passanten später hatte ich aber Glück und eine ältere Frau rief einen Krankenwagen, ging dann aber auch weiter. Mittlerweile hatte sich die am Boden liegende Frau aufgesetzt und schien nicht mehr so große Schmerzen zu haben. Ich hatte mich zu ihr runter gekniet und sie zeigte mir weinend die wirklich enorm große Beule am Hinterkopf. Sie hörte gar nicht mehr auf zu weinen, griff meine Hand und drückte sie gegen ihre Wange. Ich versuchte sie zu beruhigen und als nach fünf Minuten immer noch keine Ambulanz in sicht war, sprach ich einen gerade vorbeikommenden Polizisten an, der sogar halbwegs englisch konnte. Dieser sprach kurz mit der Frau, die sich aber weigerte, ihm zu antworten und nur noch mehr weinte. Der Polizist meinte, er würde einen Krankenwagen rufen und ich könnte wieder meiner Wege gehen. Allerdings habe ich ihm nicht wirklich getraut und die Frau hat sich so verzweifelt an meine Hand geklammert, dass ich sie nicht einfach diesem unfreundlichen Polizisten überlassen konnte und so beschloss ich, bis zur Ankunft des Krankenwagens bei ihr zubleiben. Tatsächlich verschwand der Polizist dann auch kurz drauf wieder, weil er noch andere Dinge zu tun hatte und ich blieb allein bei der Frau, setzte mich neben sie und stützte sie ,weil sie immer wieder nach hinten umkippte. Sie redete immer noch unter Tränen auf Rumänisch und gebrochenem Englisch auf mich ein, dass ich aussähe wie ihre Tochter und so nett zu ihr sei und sie entschuldigte sich hundertmal. Nach Ewigkeiten kam dann endlich der Krankenwagen. Einige Leute stiegen aus (konnten alle kein englisch), redeten kurz mit der Frau und ohne sie auch nur irgendwie näher zu untersuchen, stiegen die Leute wieder in den Wagen und wollten wegfahren. Das konnte ich nicht glauben. Wie konnten sie die Frau einfach hier im Matsch liegen lassen ohne sich ihre Verletzung anzuschaun. Es könnte ja durchaus was Ernstes sein. Fast schon panisch sprang ich auf zum Krankenwagen und redete auf die Sanitäter ein, die mich aber nicht weiter beachteten und einfach davon brausten. Ich war also wieder allein mit der Frau. Allein mit unzähligen vorbeilaufenden, gaffenden Passanten. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Doch nach einem kurzen Moment der Verzweiflung fing ich mich wieder. Ich wusste, dass mir jetzt niemand mehr helfen würde und dass ich jetzt selber was tun müsse. Und ich konnte nicht einfach weggehen, das hätte ich nicht fertig gebracht. Also fragte ich die Frau, ob sie aufstehen könne. Das klappte dann auch ganz gut, auch wenn sie etwas wackelig auf den Beinen war. Also fasste ich sie unterm Arm und fragte sie, wo sie wohnt, damit ich sie dorthin bringen konnte. Sie deutete in eine Richtung und zusammen machten wir uns auf denWweg.
Unterwegs bekam ich dann einen anruf von meinem Kollegen Misha, der mir noch etwas geben wollte und fragte, wo ich sei. Ich erklärte ihm kurz die Situation und er war total geschockt, meinte ich könne in Gefahr sein und dass er sofort zu mir kommen würde. Auf dem Weg zum Treffpunkt hatte sich die Frau dann schon wieder gefangen, hatte aufgehört zu weinen und schien sich richtig wohl bei mir zu fühlen, erzählte mir von ihrer Tochter und sagte ständig, dass sie mich mag und ich so nett und hübsch sei. Von weitem sah ich dann auch schon Misha und Mikaela ankommen. Kaum waren die beiden in Rufweite, fing Misha an, die Frau anzuschreien, sie solle von mir weggehen und redete dann auch ziemlich aggressiv auf sie ein. Die Frau ging dann auch ziemlich schnell und setzte sich in der Nähe auf eine Bank. Ich war etwas verwirrt und Misha erklärte mir, dass die Frau eine betrunkene Obdachlose sei und ich mich nicht um sie kümmern dürfe, da sie oder ihre Bande mich ausrauben könne und sie bestimmt nur so getan hätte, als ob es ihr schlecht ging. Ich erklärte ihm nochmal die ganze Situation und dass ich sie unmöglich hätte einfach liegen lassen können, aber er wollte mir nicht wirklich zuhören und meinte, wenn sogar die Polizisten und die Leute vom Krankenhaus sich nicht drum kümmern, solle ich das auch nicht tun, da die Frau obdachlos und betrunken sei und daher selber schuld, wenn sie sich verletzt. Und niemand würde sich um die Obdachlosen scheren, auch das Krankenhaus nicht, da diese keine Versicherung haben und daher einfach nicht behandelt werden, auch wenn es ihnen noch so schlecht geht. Ich wusste da gar nicht, was ich sagen sollte. Misha redete so, als hätte ich eine riesige Dummheit begangen und er müsse mich wie ein kleines Kind belehren, weil ich ja die unwissende Ausländerin bin. Ich fühlte mich wirklich schlecht und als Misha und Mikaela dann wieder gegangen waren fühlte ich mich umso schlechter, da ich nicht begreifen konnte, wie sie so über diese Obdachlosen (betrunkenen) Menschen reden konnten. Als Misha nämlich meinte, es sei nur „a fucking homeless” und ich solle mich nicht drum kümmern, habe ich ziemlich energisch mit ihm diskutiert, dass Obdachlosigkeit doch kein Grund sei, jemandem nicht zu helfen. Aber er meinte, es seit ihre eigene Schuld ,wenn sie betrunken seien und sich selbst verletzten und ich lernen müsse, solche Dinge zu ignorieren.
Das hat mich wahnsinnig traurig gemacht und sehr erschüttert.Nicht nur die Ignoranz der Menschen, die einfach vorbei gehen oder die Kaltblütigkeit der Polizisten und Sanitäter, sondern auch sowas zu hören von jemandem, der als Freiwilliger in ACTOR arbeitet. In ACTOR, einer Gruppe, deren „Vision” es ist, eine bessere Welt zu schaffen, indem sie benachteiligten Menschen helfen. Gerade von so einem Freiwilligen hätte ich mehr erwartet also so einen Satz wie „she’s just a fucking drunken homeless. Don’t care about her”). Ich meine, wie kann man einerseits so wunderbare Dinge für kranke Kinder tun und dann auf der anderen Seite so menschenverachtend über Obdachlose urteilen? Das verstehe ich wirklich nicht. Dieses erlebnis hat mich dann noch Tage später beschäftigt und ich hab oft dran gedacht, wie es der Frau jetzt wohl geht. Ihre Verletzung hätte ja wirklich schwerwiegend sein können. Aber da sie keine Versicherung hat, kümmert sich keiner drum. Sie hätte da auf der Straße an inneren Blutungen sterben können und keinen hätts interessiert. Wie kann sowas sein? Im Moment bin ich da echt enttäuscht von der Einstellung der andren Freiwilligen. Sicher gibt es tausend gute Gründe, jemandem nicht zu helfen, wenn die eigene Sicherheit in gefahr ist. Aber das als Ausrede zu nehmen, in jedem Fall wegzusehen, finde ich wirklich beschämend und ich hätte mehr von den ACTOR-Leuten erwartet. Das kommt mir momentan alles so heuchlerisch vor in den Kindergärten. Überall schöne bunte Farben und lustige Tier-Figuren, Spiele und Süßigkeiten, die manchmal mehr der Unterhaltung der Freiwilligen dienen als der der Kinder... aber vor den wirklich unangenehmen und schwierigen Dingen werden die augen geschlossen. Ich kann es gar nicht oft genug sagen.... ich bin einfach enttäuscht und erschüttert. Und fühle mich hilflos und klein angesichts des vielen Leids direkt vor meinen Augen.
Aber vielleicht haben sie ja auch Recht und ich bin diejenige mit der falschen Ansicht, da ich sowas bisher einfach noch nicht erlebt habe... ich weiß es wirklich nicht.

1 Kommentar:

gaertner_markus hat gesagt…

Hallo,

ich hätte zwar erwartet das deine zwei Bekannten ablehnend reagieren.
Aber über diese Härte bin ich auch geschockt.


mfg
markus