13. Oktober 2007

Exkurs Kultur

11.10.2007, Bukarest
Eigentlich hätte ich heute ein Krankenhaus-Projekt mit Miki am späten Nachmittag gehabt. Sie meinte dann allerdings kurz vorher, dass wir es ausfallen lassen, da wir nur zu zweit seien und die Gegend nicht sicher ist, wenn es dunkel wird. Es sollen sich dort viele aggressive Zigeuner rumtreiben, die einen in Gruppen von Kopf bis Fuß bestehlen. Ich hatte bisher damit noch keine eigenen Erfahrung gemacht, aber von den andren Freiwilligen oder auch vor allem von Eugenias größerem Sohn Mihai habe ich nichts Gutes gehört. Mihai hatte richtig beschwöhrend auf mich eingeredet, sofort die Straßenseite zu wechseln, sobald ich einen Zigeuner sehe und bloß keinen Kontakt zu ihnen zu haben, da sie sehr aggressiv sein sollen und einem alles abnehmen. Da hatte der Mann, der in Apold den Vortrag über die Roma gehalten hat, zwar ganz andere Ansichten, aber sicherlich kann man das – wie alles andere auch – nicht verallgemeinern.
Ich hatte Alexandra nach einer Bücherei gefragt, da ich in meiner (momentan noch) vielen Freizeit mal was lesen wollte. Und heute an meinem freien Tag machte ich mich auf die Suche nach der größten Bibliothek Bukarests, die ich sogar auch auf Anhieb fand. Ich habe allerdings momentan kein Geld mehr, deswegen konnte ich mir den Jahresbeitrag noch nicht bezahlen. Aber ich bekam schon mal eine Führung auf Englisch und eine Erklärung, wie alles so funktioniert. Ganz schön kompliziert und ein enormer Aufwand. Naja, wird schon seinen Sinn haben. Ich denke, die ersten Male werde ich trotzdem immer nochmal fragen müssen.
Auf dem Heimweg ging ich nochmal im großen Supermarkt einkaufen und zurück im Apartment machte ich mich daran, mit Handbesen und Schaufel den Teppichboden zu kehren. Einen Staubsauger gibts hier nämlich nur bei den Jungs am Ende des Gangs und Alice meinte, wir könnten ihn uns nicht so oft ausleihen. Mit dem Besen war es wirklich ziemlich mühselig und nicht gerade sehr erfolgreich, den Teppich zu säubern, aber immerhin etwas.
Da ich jetzt schon ein paar Mal gefragt wurde, was so typische kulturelle Eigenschaften oder Mentalitäten in Rumänien sind, will ich hier gleich mal ein paar Dinge aufzählen. Ist natürlich nicht alles, mehr kommt später. Das hier sind erst mal das, was mir als erstes aufgefallen ist.
Das erste, was mir aufgefallen ist, als ich hier ankam, war die lebensmüde fahrweise der bukarester. Vorfahrtsregeln sind dazu da, um gebrochen zu werden. Ampeln werden prinzipiell überfahren und am Zebrastreifen muss man als Fußgänger einfach loslaufen und das beste hoffen, da sonst nie auch nur ein auto anhalten wird. Alle fahren wie die henker und wenn es mal nicht schnell genug geht, wird laut gehupt. Fahrspurmarkierungen sind bloß zur dekoration da und ich war jedesmal heilfroh, wenn ich aus dem auto aussteigen konnte. Ich glaub, hier trau ich mich nicht selbst zu fahren. Ein auto ohne dellen ist hier kein richtiges auto. Oftmals haben die karren nicht mal sicherheitsgurte, geschweige denn nen tüv. Überholen in engen, unübersichtlichen kurven, wer bremst, verliert. Ich würd sagen, das beschreibt die Fahrweise ganz gut. Als ich in der Türkei war, war das genauso. Scheint also hier in der Ecke Europas doch verbreitet zu sein.
Was mir als nächstes auffiel, war der handkuss. Mittlerweile ist es wieder sehr üblich, vor allem unter jüngeren leuten, als zeichen besonderen danks oder zuneigung oder manchmal auch zur begrüßung, dass der junge dem mädchen einen handkuss gibt. Ich find das echt toll, das hat was. Als ich noch nichts von dem brauch wusste und mir dann ein handkuss gegeben wurde, war ich erst mal total überrascht, aber jetzt im nachhinein ist mir alles klar ;)
Als nächstes ist es für mich wirklich erstaunlich, wieviele bettler es hier gibt. Vielleicht ist das auch nur in einer so großen stadt wie bukarest so, aber auf jeden fall ist es für mich sehr erschreckend. Vor allem viele Kinder oder alte Leute sitzen Tag für Tag an den Straßenrändern und halten die Hand auf. Es gibt auch viele sehr aufdringliche oder aggressive Bettler. Wenn man mit dem Auto an ner Ampel steht, kommen viele Bettler zu einem, klopfen an die Scheibe und erzählen etwas. Oder wenn man zu Fuß unterwegs ist, folgen einem kleine Kinder äußerst hartnäckig. Oder als ich in Sighisoara war, war dort am Bahnhof ne ganze Gruppe Jugendlicher mit einem Kleinkind und haben Essen oder Geld erbettelt. Selbst als sie dann was bekommen hatten, waren sie immer noch äußerst aufdringlich und wichen einem nicht von der Pelle.
Begrüßungen unter Freunden sind immer sehr herzlich und es gibt auf jede Wange nen Schmatzer. Wenn man sich trifft, schallt einem schon von weitem ein lautes „tsche fatsch?" entgegen (das ist jetzt in Lautschrift geschrieben), was „wie gehts?" heißt. Die Standartantwort „bine" (= gut) wird meistens weggelassen. Das mag ich nicht so. Dieses „wie gehts" so als Floskel, auf die man gar nichts anderes als „gut" antworten kann. Das ist nicht so mein Fall.
Und was Rumänen gar nicht mögen: Drakula und seine Vampirschar. Rumänen finden es alles andre als toll, dass ihr Land immer als erstes mit den Vampiren aus Transylvanien in Verbindung gebracht wird. Die Einzigen, die den Mythos noch schüren sind die Touristikverbände, die massig Kohle an lebensgroßen Drakulastatuen und andren Souveniers wie Tassen und dem üblichen Kram verdienen.
Was mir auch aufgefallen ist: die enorme Vermüllung der Umwelt. Abfälle werden oftmals einfach aus dem Fenster geworfen. Egal ob Zuhause, im Auto oder unterwegs. Da kann der Mülleimer drei Meter weiter stehen, das Papier wird zusammengeknüllt auf den Boden geschmissen. Mülltrennung gibts hier gar nicht und allgemein das Bewusstsein für Müllentsorgung ist überhaupt nicht ausgeprägt. Keiner stört sich scheinbar an zugemüllten Straßenrändern.

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